Allgemeine Modelltheorie

Inhaltsverzeichnis

Colophon

Prof. Dr. phil. Herbert Stachowiak Berlin — Paderborn

Direktor des Instituts für Wissenschafts- und Planungstheorie des Forschungs- und Entwicklungszentrums für objektivierte Lehr- und Lernverfahren GmbH.

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(C) 1973 by Springer-Verlag/Wien

Library of Congress Cataiog Card Number 73-75910

Printed in Austria

ISBN 3-211-81106-0 Springer-Verlag Wien — New York ISBN 0-387-81106-0 Springer-Verlag New York — Wien

Widmung

Meinem Vater Adalbert Stachowiak zum Gedächtnis

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung ist das Ergebnis langjähriger Studien im Umkreis des Modellbegriffs. Sie begannen 1957 mit einem ersten systematischen Orientierungsversuch („Uber kausale, konditionale und strukturelle Erklärungsmodelle“, Philosophia Naturalis, Bd. IV, H. 4, 1957, p. 403— 433) und führten über mehrere Stufen fortschreitender Systematisierung zu dem 1965 vorgelegten modelltheoretischen Konzept („Gedanken zu einer allgemeinen Theorie der Modelle“, Studium Generale, 18. Jg., H. 7, 1965, p. 432— 463), das ich schließlich auf die Fassung der jetzt vorliegenden „Allgemeinen Modelltheorie“ erweitern und präzisieren konnte. Ende 1969 folgte ich einer Einladung der UNESCO, Paris, eine Studie über den Modellbegriff abzufassen. Diese Arbeit ist inzwischen erschienen in dem Sammelwerk „Scientific Thought“, Band 9 der Reihe New Babylon (Mouton/Unesco, Paris-The Hague, 1972). Sie ist zum Teil als Vorentwurf des dritten Kapitels der „Allgemeinen Modelltheorie“ zu betrachten. Andere eigene Veröffentlichungen, insbesondere auf erkenntnispsychologischem und wissenschaftstheoretischem Gebiet, sind durch die erwähnten modelltheoretischen Untersuchungen beeinflußt. An ihren Ergebnissen ist auch mein Buch „Denken und Erkennen im kybernetischen Modell“ (Wien — New York: Springer, 2. Aufl., 1969) orientiert.

Mit vielen meiner Leser — kritische Rezensenten inbegriffen — betrachte ich mich als in einem umfassenden Gesprächs- und Arbeitszusammenhang verbunden. Daher sei auch zu dem vorliegenden Werk die Bitte um Hinweise auf systematische Fehler, Disproportionalitäten, bedenklich scheinende Wertsetzungen und sonstige tatsächliche oder mögliche Mängel des Buches vorgetragen. Nur in solcher Kommunikation kann auf einem Felde, zu dessen weiterer Bearbeitung die Kräfte eines einzelnen nicht ausreichen, der vorgelegte Ansatz bereinigt, vertieft und erweitert werden. Allen Helfern hieran Dank im voraus.

Bei der Abfassung des Manuskripts haben mir in der Anfangsphase meiner modelltheorerischen Überlegungen Gespräche mit den Herren P. Gäng und Prof. Dr. D. Wunderlich wertvolle Anregungen gegeben. Hierfür sei beiden Genannten herzlich gedankt. Herrn Wunderlich bin ich darüber hinaus für seine oft bis ins formale Detail reichende Hilfe bei der Erarbeitung des logisch-explikativen Teils des dritten Kapitels und der darin vorkommenden Maßbestimmungen zu besonderem Dank verpflichtet, Den Herren Prof. Dr. H. Pachale, Dipl.-Math. Studienrat W.Krüger und Dipl.-Math. R.-B. Lüschow dünke ich für kritische Durchsicht des Manuskripts, Herrn Krüger darüber hinaus für gründliches Korrekturlesen. Die Anlage des Namenverzeichnissen sowie die sorgfältige Fehlerdurchsicht des Literaturverzeichnisses und der Bibliographie verdanke ich Herrn H. Radimersky. Herr Dr. G.Wersig hat mir dankenswerterweise seine sich über ein Jahr erstreckende Hilfe in bibliographischen Recherchen zureit werden lassen. Dankbar hervorzuheben habe ich endlich erneut die unentbehrliche technisch-organisatorische UnterStützung durch meine langjährige Mitarbeiterin Frau H. Stranz und meine Frau B. Stachowiak-Prästel.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat meine modelltheoretischen Bemühungen in einer (aus persönlichen Gründen kritisch gewordenen) wichtigen Arbeitsphase unterstützt, wofür ihr hier aufrichtig Dank gesagt sei.

Dem Springer-Verlag bin ich für Verständnis, Geduld und stets freundliches Entgegenkommen treu verbunden.

Berlin, im Sommer 1973

Herbert Stachowiak

Einleitung

Im wissenschaftlichen wie außerwissenschaftlichen Sprachgebrauch hat gegenwärtig der Modellbegriff zunehmend Relevanz erlangt. Bei zahlreichen passenden — leider auch unpassenden — Gelegenheiten ist von „Modellen“ die Rede. Das Wort Modell wird ebenso gedankenlos fehlverwendet, wie man es als bewußt gewählten wissenschaftlichen Terminus in Zusammenhängen findet, die das Bestreben erkennen lassen, es mit einer streng explizierten oder wenigstens explizierbaren Bedeutung zu verbinden. In der Mathematik und Logik ist dies unter starker Einschränkung seines Bedeutungsgehaltes realisiert, und einige Autoren, die diese Einschränkung nicht für fruchtbar hielten, haben versucht, das Spezifische des Modellbegriffs so zu charakterisieren, daß erkennbar wird, in welchem Sinne sie diesen Begriff verstanden und verwendet wissen wollen. Auch Ansätze taxionomischer Klassifikation von Modellen sind hier und dort zu finden. Bei den meisten Autoren jedoch, die in mannigfaltigsten Bezügen von Modellen sprechen, vermißt man weitgehend, wenn nicht gänzlich, wissenschaftstheoretisch-methodologische Reflexion über den von ihnen zugrunde gelegten Modellbegriff. Dessen Charakteristika können in solchen Fällen nur indirekt aus den gebotenen Kontexten erschlossen werden.

Gerade hier aber, wo noch der mehr intuitive Zugriff des Schreibenden und Sprechenden die Funktion normierender terminologischer Verwendungsregeln innehat, pflegt nicht selten der Wandel der Sprachgewohnheit, indem diese sich fast unmerklich an einen bestimmten Stil der Betrachtung und des Denkens adaptiert, zum Indiz neu sich gestaltender allgemeiner Haltungen und Einstellungen zu werden. Die zunehmende Neigung zeitgenössischer Forscher, sogar Erkenntnisgebilde von der Qualität hochkomplexer erfahrungswissenschaftlicher Theorien als ..Modelle" aufzufassen oder sie zumindesr kurzweg so zu nennen, dürfte in diesem Sinne eine tiefliegende Wandlung wissenschaftlich-philosophischen Denkens sichtbar werden lassen. Es ist dies fraglos eine Wandlung nicht zuletzt der Ansprüdie, die der Wissenschaftler und der wissenschaftlich orientierte Philosoph an ihre Tätigkeit und deren Ergebnisse stellen zu dürfen glauben:

Mit den wachsenden Anforderungen an die instrumentale, insbesondere prognostische Qualität und die wertbezogene Funktionalität der Erkenntnisgebilde ist ein rasches Dahinschwinden der klassisch-erkenntnistheoretischen Auffassung verbunden, die am Ideal der inten tionslos- wertfreien, auf objektive „Realitätsabbildung" zielenden Erkenntnis orientiert war. Die Forschergeneration, aus der heraus dieses Ideal noch in den Beginn der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts hineinwirken konnte, ist fast ausgestorben. Die meisten jungen Wissenschaftler unserer Tage begreifen gar nicht mehr jene Mühe um Wahrheit und Ewigkeit, um Letzrbegründung und Objektivität, die für die meisten der Älteren schlechterdings leitend und maßgebend war.

[Nicht, daß es jetzt keine „metaphysischen" Bedürfnisse mehr in Dingen des Wissens gäbe! Aber diese Bedürfnisse und Antriebe sind ««zentriert. Der menschferne rationalistische Dogmatismus und Objektivismus ist, auch noch in seinen kriti(zisti)schen und (quasi-) pragmatischen Fortsetzungen von Kant bis Popper, zerfallen. Das neue Zentrum einer total säkularisierten „metaphysischen" Sehnsucht ist die Gesellschaft oder vielmehr das vergesellschaftete Ich, und das Grundthema dieser Sehnsucht lautet „Emanzipation". Damit ist der Kampf gegen die Leiden der tatsächlich oder vermeintlich „Unterpriviligierten" gemeint, der in der Hauptsache Kampf ist gegen das jeweilige „Establishment". Erklärt parteilich, stützt sich die neue „Metaphysik" auf soziale Gerechtigkeit. Dieser will sie alles unterordnen, auch den Grundwert der individuellen Selbstverwirklichung. Ihre empirischen Evidenzen sind im Grunde Hoffnungen, und die Starre der Unbelehrbarkeit macht sie gegenüber ihrer klassischen Vorgängerin gleichsam zum Dogmatismus höherer Ordnung. Sie ist bereit, auch noch das kleine Einmaleins zum Ausdruck falschen Bewußtseins und damit zur Unwissenschaft zu erklären, wenn es sich als „repressives Instrument der Etablierten" erweist. — Wahrscheinlich wird die bemerkenswerte Affinität einer offenbar wach- senden Zahl von Intellektuellen zu solch „metaphysisch" verabsolutiertem Engagement bestimmend oder doch wesentlich mitbestim- mend werden für die soziokulturelle Entwicklung noch der nächsten Jahre.

Auf längere Sicht dürften jedoch zwangsläufig die geschidulidi gewachsenen liberalen Formen der philosophischen Diskussion gegcnüba stii 01 htatx weithin als unerträglich HUp£imdeo.äa kollekri visuschen Tendenzen überdauern. Dabei ist natürlich vorausgesetzt, daß die gegenwärtige Menschheit aus verantwortlicher Rationalität entwickelte und durchsetzbare Rezepte gegen eine Reihe selbstzerstörerischer Krankheiten, nicht zuletzt gegen die Ideologie des permanenten technisch-wirtschaitlichen Wachstums, zu linden vermag.]

Das erste Kapitel dieses Buches beschäftigt sich vor allem mit der erkenntnistheoretischen Problematik des Modellbegriffs. Die dabei offenbar werdende philosophische Grundeinstellung ist die des Pragmatikers wahrheitsphilosophiseher Provenienz. Sublime Pragmatiker ähneln oft Atheisten, die ihren Gott gesucht, aber nicht gefunden haben; oder deren Gott sich ihnen vielleicht in beglückend verfremdeter Gestalt offenbart. Enttäuschung kann allerdings in Befreiung ausmünden, Ent-bergung in neue Geborgenheiten führen. —

Es ist notwendig, einleitend festzustellen, daß die im zweiten und dritten Kapitel In Angriff genommene Modelltheorie nicht mit der von A. Tarski geschaffenen semantischen Modelltheorie identisch ist. Sie ist auch kein Teilgebiet derselben. Der hier verwendete Modellbegriff ist erheblich weiter gefaßt. Er schließt auf der formalwissenschaftlichen Seite die durch Äquivalenzklassenbildung gewonnenen sogenannten abstrakten Strukturen der Mathematik und andere „formale Absrraktionsmodelie" ebenso ein wie auf der erfahrungswissenschaftlichen Seire die in großer Vielfalt auftretenden empirischen Modelle, Unter ihn fallen auch iKe technischen Modelle. Als was immer sonst alle diese Modelle betrachtet werden, sie erweisen sich als sowohl abbildungstheoretisch wie auch in ihren pragmatischen Bezügen ein hei dich erfaßbar.

Darin, daß hier der — außerhalb der formalen Wissenschaften bisher fast nur intuitiv, ohne strenge Definition, verwendete — Modellbegriff in der angedeuteten Allgemeinheit abbildungstheoretisch expliziert wird, unterscheidet sich die Allgemeine Modelltheorie bereits im Grundansatz auch van denjenigen wissenschaftstheoretischen Versuchen, die die empirischen Modelle, soweit sie diese überhaupt m die Betrachtung einbeziehen, ausschließlich der (meta-) mathematischen und semantischen Modellkonzeption unterwerfen. Die in Frage stehenden Modelle werden nach der Auffassung der betreffenden Wissenschaftstheoretiker als „Belegungsmodelle" oder „Realisationen" präexistenter Theorien, d. h. als nicht-linguistische, nämlich mengentheoretisch erfaßbare Interpretationen linguisti sehet Formgebilde aufgefaß1.

Gegen die Übertragung des logisch-semantischen Modellbegriffs auf die Erfahrungs Wissenschaften, so logisch befriedigend sie immer sein mag, ist einzuwenden, daß sie dem weithin geübten wissenschaftlichen Sprachgebrauch in keiner Weise gerecht wird. So würden zahlreiche Erkenntnisgebilde, die im abbildungstheoretischen Sinne durchaus als Modelle gelten, ausgeklammert, nur weil für sie eine strenge Theorie, deren Belegungsmodelle sie wären, nicht oder noch nicht explizit angegeben werden kann. Ja, in vielen Fällen dienen derartige empirische (und technischej Modelkonstruktionen gerade dem Aufbau und der Entwicklung von Theorien. Hierin liegt vornehmlich ihr großer heuristischer Wert. Scheint jene gegenständliche Beschränkung mithin wenig ratsam, so ist doch andererseits bei dem hier bevorzugten Vorgehen die Gefahr einer „Uberhomogenisierung“ unterschiedlichster Modellbegriffe und damit der starken Bedeutungsentleerung des resultierenden allgemeinen Modelibegriffs vorerst nicht von der Hand zu weisen. Dieses mögliche Manko wird hier ausdrücklich in Kauf genommen.

Fußnoten:

1

Repräsentativ für diese Gruppe von Forschern: P. Suppes, 1961, 1965. Vgl. hier und im folgenden das Literaturverzeichnis, S. 363 ff.

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